Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

Inhalt

Sergij Osatschuk

Czernowitz heute und der Umgang mit dem
gemeinsamen kulturellen Erbe

Sehr verehrte Damen und Herren,

es ist für mich als gegenwärtigen Repräsentanten der Stadt, der hier zum Thema dieses hochrangigen Symposiums spricht, eine besondere Ehre, auch einige Überlegungen über das heutige Czernowitz/Cernivci äußern zu dürfen.

Es ist dies zugleich eine leichte wie schwierige Aufgabe. Eine leichte deswegen, weil ich mit meiner Stadt die Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte mitmachte und eigentlich auf diese durchaus stolz bin und eine schwierige, weil ich a priori die wichtigste Aufgabe darin sehe, Ihnen den Eindruck zu vermitteln, dass meine Stadt, trotz der fürchterlichen menschlichen Verluste der Zwischenkriegszeit und des Zweiten Weltkrieges, trotz der Jahrzehnte sowjetischer Herrschaft, ein lebendiger Organismus in Ostmitteleuropa geblieben ist.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs haben wir Czernowitzer nicht nur die Außenwelt, die Nachbarländer für uns entdeckt, sondern durch den Zufluss von Informationen und Anfragen über "die alte Heimat Czernowitz", über unsere eigene Vergangenheit, eine Geschichte entdeckt, die sich von der, die wir bis dahin kannten, stark unterschied. In der weit verbreiteten Euphorie begann auch ein anderes Nachdenken über die Vergangenheit. Fragen wurden gestellt, es wurde nach Wurzeln gesucht, nach neuen Bezugspunkten. Anstelle der üblichen Behauptungen mancher russischsprachiger Mitbürger, erst sie hätten uns die "Kultura" gebracht, kam uns Anfang der 90er Jahre eigentlich die Erkenntnis, dass sie uns damals, 1940, die Kultur weggenommen haben. Infolge solcher Wandlungen der Perspektiven begann in den Köpfen engagierter Heimatforscher das Interesse für diese verschüttete Kulturepoche zu wachsen, in der Czernowitz noch als ein Bestandteil des versunkenen k.u.k. Atlantis war.

BildEine große Anzahl westeuropäischer Journalisten und Filmteams stürmte neben den zahlreichen Touristen die Czernowitzer Altstadt, doch nicht um den "Mythos Czernowitz" zu hinterfragen, sondern um ihn fast ausschließlich zu bestätigen - nach dem Motto "Die Kulisse ist geblieben, aber die Akteure sind nicht mehr da". Es schmeichelt dem Ohr des gegenwärtigen Czernowitzers, wenn begeisterte Reaktionen auf die Architektur der Altstadt aus dem Munde der Touristen oder Berichterstatter kommen, aber gleichzeitig fühlt man sich wieder unwohl, wenn man hört, die Akteure sind nicht da, die Stadt bestehe aus nicht-czernowitzerischen Czernowitzern. Noch vor kurzem musste man sich gefallen lassen, dass wir von Kulturträgern des Jahres 1940 belehrt wurden, und heute gibt man uns wieder zu verstehen, dass wir die falschen Gäste auf einer fremden Hochzeit sind.

Der Mythos Czernowitz wäre ohne die staatspolitischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts nie geboren worden, denn nur der Verlust des alten Czernowitz besonders im Vergleich zum rumänischen Cernăuţi und später noch auffälliger zum sowjetischen Czernowzy hat die Erkenntnis des eigentlichen Wertes des Verlorenen bewusst gemacht. Die historische Entwicklungslinie von Czernowitz im 20. Jahrhundert ließe sich vom Standpunkt des habsburgischen Czernowitz als ein absoluter Höchststand auf einer von oben nach unten abfallenden Skala skizzieren, und zwar so: Die österreichische Periode sei die goldene Ära, die Zwischenkriegszeit die silberne und die sowjetischen Jahrzehnte der Untergang, die schwarze Periode gewesen. Aber der Vergleich des heutigen nunmehr ukrainischen Czernowitz mit dem der sowjetischen Zeit zeigt eine ansteigende Kurve und gibt Anlass zur Hoffnung.

Die Unabhängigkeit der Ukraine 1991 läutete einen Neuanfang ein. Während dieser Phase der Aufbruchstimmung wurde an der Czernowitzer Jurij-Fedjkowitsch-Universität nach dem Muster des 1988 gegründeten Augsburger Bukowina-Instituts das wissenschaftliche Bukowina-Forschungszentrum gegründet. An diesem Zentrum, dessen Väter zwei prominente Professoren Oleh Pantschuk und Taras Kijak waren, sollten Wissenschaftler aus allen Fachgebieten – Historiker, Literaturwissenschaftler, Geografen, Ethnologen – gemeinsam die Geschichte der Bukowina und von Czernowitz erforschen.

Die Arbeit des Bukowina Zentrums fiel sowohl im Lande als auch bei den internationalen Partnerinstitutionen auf fruchtbaren Boden, denn die Wirkung des neu entdeckten und wieder zugänglichen "Mythos Czernowitz" hat bei den ausländischen Geldgebern einen großen Widerhall gefunden. Es entstanden Publikationen, Konferenzen und Symposien wurden abgehalten, Lesungen und Ausstellungen veranstaltet. Heute versteht sich das Bukowina-Zentrum nicht nur als eine wissenschaftliche Einrichtung, sondern in zunehmendem Maße, auch als Kulturmittlerstelle für die Festigung der kulturellen Beziehungen zwischen Czernowitz und dem deutschsprachigen europäischen Raum.

Selbstverständlich ist das heutige Czernowitz nicht mehr so wie es vor 60 Jahren war. Die großen staatlichen Tyranneien des 20. Jahrhunderts haben endgültig die Schöpfung des Habsburgerreiches – die Bukowina mit der Hauptstadt Czernowitz - in eine historische Materie verwandelt. Gibt es aber überhaupt in Ostmitteleuropa zumindest eine größere Stadt, die unverändert geblieben wäre? Sind Berlin, Potsdam, Wien oder Krakau noch so, wie sie in Erinnerung an die Vorkriegszeit sind? Nach einigen Jahrzehnten sowjetischer Reformen war Czernowitz/Czernowzy nicht mehr zu erkennen, denn wies die Architektur noch den altösterreichischen Charakter auf, so war die Bevölkerung dagegen von Angst vor Repressalien und von mangelhafter politischer Bildung geprägt. Die nach außen geschlossene sowjetische Gesellschaft, vor allem eine jahrzehntenlang indoktrinierte junge Generationen von Czernowitzern wussten über das Erbe der Stadt fast nichts. Ehemalige Bewohner, die davon hätten berichten können, waren tot, vertrieben, verjagt, verstummt. Die heutigen Czernowitzer sind von jenem fast idyllischen Bild der Multikulturalität und Toleranz der österreichischen Zeit durch mindestens drei Generationen und mehrere Epochen getrennt. Das Bild von Czernowitz in der Literatur und das reale Czernowitz Anfang des 21. Jahrhunderts sind keine identischen Begriffe. Aber die Stadt scheut sich heute nicht vor der eigenen Geschichte, weder der österreichischen, noch der rumänischen oder der sowjetischen. Und wenn die Wurzeln und Bezugspunkte zur Vorkriegszeit gesucht und wieder entdeckt werden, so bleibt die sowjetische Vergangenheit ein wichtiger Hintergrund des täglichen Lebens, was absolut verständlich sein muss, da die heutigen Czernowitzer aus dieser sowjetischer Epoche kommen. Ähnlich wie die altösterreichische Gesinnung in der Zwischenkriegszeit eine lange Wirkung in Sprache, Kultur und Literatur in Czernowitz hatte, so ist auch heute die nachhaltige Wirkung der russischen Massenkultur sehr spürbar. Der wichtigste Unterschied zur sowjetischen und rumänischen Epoche besteht heute darin, dass diese russischsprachige Kulturpräsenz nicht bekämpft, sondern als zweifelhafte Bereicherung toleriert wird. Erinnert man sich an die verklärte Czernowitzer Toleranz, so darf und muss sie heute nicht nur in Bezug auf die rumänische, deutsche oder jüdische Kultur erwartet werden, sondern gleichermaßen für alle anderen heute in der Stadt vertretenen Kulturen. Wie ist nun die ethnische Zusammensetzung von Czernowitz heute?

Die Ergebnisse der ersten allgemeinen Volkszählung der Ukraine von 2001 vermitteln uns folgendes Bild: von 240.000 Einwohnern sind 189.000 (79,8 %) Ukrainer, 26.700 (11,3 %) Russen, 10.600 (4,5 %) – Rumänen, 3.800 (1,6 %) Moldauer, 1.400 (0,6 %) Polen, 1.300 (0,6 %) Juden, 1.000 (0,4 %) Weißrussen und 2.900 anderer Nationalität. Vergleicht man diese Ergebnisse mit denen des Jahres 1989, als die letzte sowjetische Volkszählung durchgeführt wurde, so ist eine starke Abnahme bei allen nationalen Gruppen außer den Ukrainern festzustellen. Die größten Verluste hat infolge der Abwanderung die jüdische Gemeinde von Czernowitz erfahren - von 15.600 Personen 1989 auf 1.300 im Jahre 2001. Angesichts der wichtigen sozialen und beruflichen Stellung jüdischer Czernowitzer, war diese Abwanderung einer der schlimmsten Verluste des letzten Jahrzehnts.

BildDie absolute Mehrheit (96 % der Bewohner der Stadt) beherrscht heute die ukrainische Sprache und über 40 % der städtischen Bevölkerung haben bei der Volkszählung angegeben, Russisch fließend sprechen zu können. Eine erstaunliche Erkenntnis über die Stellung der deutschen Sprache erbrachte auch die letzte Volkszählung: In Anbetracht der winzigen Anteile an deutscher und jüdischer Bevölkerung, haben 3.585 Czernowitzer Deutsch als erste Fremdsprache angegeben, in der sie sich fließend ausdrücken können. Es ist ein beträchtliches kulturelles Potential für den Ausbau der kulturellen Beziehungen zu Deutschland und Österreich. Nur 49 Personen von 318 ansässigen Deutschen und 72 jüdische Mitbürger, dafür aber 2.800 Ukrainer beherrschen heute Deutsch.

In der Aufbruchsstimmung der 90er Jahre erfolgte die kaleidoskopische Neuorganisation einzelner ethnischer Gruppen in Nationalvereinen, die an die nationale Vereinsmeierei der Vorkriegszeit anknüpften und somit auch Anspruch auf ihre ehemaligen, 1940 konfiszierten Nationalhäuser stellten. Ein Kompromiss wurde gefunden und etliche Räumlichkeiten sind im Deutschen, Rumänischen, Polnischen, Jüdischen und Ukrainischen Haus den jeweiligen nationalen Vereinen zur Verfügung gestellt worden. Die Tätigkeit verschiedener nationaler Vereine wurde von Anfang an von staatlichen und städtischen Behörden sehr begrüßt und nach Möglichkeit unterstützt. Die Initiativen der nationalen Kulturvereine gingen hauptsächlich in Richtung Folklorepflege, Sonntagsschulen, Seniorenfürsorge und Gedenkmaßnahmen für die bedeutende Söhne und Töchter von Czernowitz. Der Czernowitzer Stadtrat mit dem 1994 zum ersten Mal gewählten und heute noch amtierenden Bürgermeister Mykola Fedoruk an der Spitze war immer behilflich, die national-kulturellen Initiativen umzusetzen. So erfolgte auch im ukrainischen Czernowitz der 90er Jahren eine Welle der Straßen - und Platzumbenennungen, welche heute die Namen des berühmtesten Czernowitzer Bürgermeisters Anton Kochanowski, des orthodoxen Metropoliten Eugen Hakman, des ukrainischen Politikers Omeljan Popovici oder des deutsch-jüdischen Dichters Paul Celan tragen.

Das erste nichtsowjetische Denkmal der neuesten Zeit war in Czernowitz das am 6. Juni 1992 enthüllte Denkmal für den berühmten Paul Celan an der Czernowitzer Hauptstraße, nicht weit vom ehemaligen Volksgarten. Das Celan-Denkmal war der Anfang der fruchtbaren Zusammenarbeit der Stadt Czernowitz mit österreichischen Partnern, die in den Folgejahren bei der Anbringung von Gedenktafeln für Rose Ausländer, Erwin Chargaff und der kürzlich am 5. September enthüllten Gedenktafel für Selma Meerbaum-Eisinger wesentlich mitgewirkt haben. Die größten Gedenktafeln sind im Hauptgebäude der Czernowitzer Universität mit den vergoldeten Namen (auf Deutsch und Ukrainisch) aller Rektoren der Czernowitzer Alma Mater seit ihrer Gründung zu sehen. Somit knüpfte die Universitätsverwaltung 1995 an die jahrhundertlange Geschichte und Tradition der eigenen Universität an und distanzierte sich von dem sowjetischen Standpunkt des Neuanfangs im Jahre 1940. Auch die fünf Jahre später enthüllte Gedenktafel am ersten Gebäude der Czernowitzer Universität mit einem Hinweis auf das Gründungspatent Kaiser Franz Josephs I. setzte diese symbolische Anknüpfung an die deutschsprachige "Francisco-Josephina" fort. Aber nicht nur die Gedenktafeln, sondern auch Vortragsreihen und Symposien, benannt nach den bekannten Gelehrten der Universität knüpfen an das intellektuelle Erbe der Alma Mater an, zum Beispiel die Kaindlschen Lesungen an der historischen Fakultät, die Chargaffschen Lesungen an der biologischen Fakultät oder die Eugen-Ehrlich-Lesungen an der rechtswissenschaftlichen Fakultät.

Einmal im Jahr ist am Balkon des Czernowitzer Rathauses die neue Stadtfahne mit dem habsburgischen Wahlspruch "Viribus unitis" für die Öffentlichkeit zu sehen, nämlich am ersten Oktoberwochenende jedes Jahres wird das Czernowitzer Stadtfest als Erinnerung an die erste urkundliche Erwähnung der Stadt vom 8. Oktober 1408 gefeiert - es ist für alle Bürger der wahre Höhepunkt des Jahres geworden. Man ist auf das Alter der eigenen Stadt sehr stolz. 2008 jährt sich wieder ein runder, dann der 600. Geburtstag der Regionalmetropole am Pruth. Man nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, den alten Stadtkern, das architektonische Ensemble für die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes zu nominieren – zugleich eine Ehre und Selbstverpflichtung für die Stadt und ihre Bürger. Überhaupt widmet man der historischen Architektur der Stadt in den letzen Jahren zunehmende Beachtung und Fürsorge. Jedes Unternehmen wird beim Miet- oder Kaufvertrag der Räume für ein Geschäftslokal im Stadtzentrum vom Magistrat verpflichtet, die Fassade des Hauses und das Trottoir zu renovieren bzw. auszubessern. Die lauten Stimmen mancher Unzufriedener über die undemokratischen Methoden dieser Verpflichtung wurden mit der Zeit leiser und die Bürger samt Touristen bekommen akzentuierte architektonische Linien zu sehen, erkennen den Wert einst verfallener Gebäude und lernen ihn zu schätzen. Zum ersten Mal in der Ukraine wurde im März 2003 beim Bürgermeister von Czernowitz ein wissenschaftlich-beratender Ausschuss zum Erhalt des architektonischen Erbes gegründet, welcher in kurzer Zeit großes Ansehen bei den Bürgern und Stadtarchitektenamt gewonnen hat.

Czernowitz war und bleibt die Stadt der Musik. Man pflegt die eigene Musiktradition und sorgt für die Entwicklung der musikalischen Kultur in mehreren Orchestern und Ensembles. Der Inhaber der goldenen Medaille der UNESCO und der Träger des Ehrentitels "Der goldene Name der Weltkultur" der Czernowitzer Musikprofessor und Komponist Josef Öhlgießer zählt heute mit seiner regen Tätigkeit zum eifrigsten Wächter des Bukowiner kulturellen Erbes: Professor Öhlgießer veröffentlichte eine bereits 6-bändige Notensammlung von Werken Bukowiner Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese Publikationen finanziert er selbst aus dem Geld, das er aus Deutschland als KZ-Häftling bekommt. Vor einem Jahr ist bei Sony-Austria die erste CD mit der Klaviermusik der Bukowiner Komponisten, gespielt von Josef Öhlgießer, erschienen. Zwei weitere musikalische CD's des Czernowitzer Jüdischen Orchesters unter Leitung von Lev Feldmann und des rumänischen Orchesters "Plai" unter Leitung von Mykola Hackmann sind bereits international bekannt und zeugen vom traditionsbewussten Umgang verschiedener ethnischer Gruppen mit der Bukowiner Musik.

Das 1867 errichtete Philarmoniegebäude erfreut heute noch die Czernowitzer Musikliebhaber mit Gastspielen aus Wien, Zürich, Moskau oder Bukarest, wobei die russischen Popsänger, sowjetische Stars von gestern das reiche und wohlhabende Publikum von Czernowitz entzücken. Das Geld und die hohe Kultur gehen in Czernowitz meist parallele Wege und überschneiden sich selten. Zu einem spannungsvollen Ereignis soll der Auftritt des weltbekannten DJ Shantel (Stefan Hantel) aus Frankfurt am Main mit seinem Bucovina Club in Kooperation mit den oben erwähnten Czernowitzer Bands und einer Roma-Band aus Bukarest am kommenden Stadtfest am 2.Oktober 2004 werden.

Eines der symbolischen Beispiele für den Umgang mit dem historischen Erbe von Czernowitz sind die mittlerweile weltbekannten Davidsterne am Treppengeländer des Jüdischen Hauses, die zur sowjetischen Zeit durch das Abtrennen zweier Zacken zu einem Viereck umgewandelt wurden und Mitte der 90er Jahren durch Anschweißen der fehlenden Zacken wieder zum Davidstern wurden. Aber anscheinend ist der Sägemeister in Czernowitz noch sehr lebhaft am Werke, denn vor einigen Jahren wurden von den beleuchteten roten Sowjetsternen auf den Elektromasten im Zentrum der Stadt wiederum je zwei untere Zacken abgetrennt, und so werden jetzt an Feiertagen nur dreizackige Schmuckelemente beleuchtet.

Die Beschäftigung mit dem Auffinden und Entdecken der Wurzeln hat aber die geistigen Eliten von Czernowitz im letzten Jahrzehnt so stark beschäftigt, dass eine Fülle von Publikationen mit nostalgisch-verklärendem Einschlag erschien. Oleg Ljubkiwksij, einer der bekanntesten Czernowitzer Künstler der Gegenwart, machte das Thema "Spurensuche" zu seinem künstlerischen Credo. In diesem verlängerten Suchprozess steckt die Gefahr, in den alten Spuren für immer steckenzubleiben, nicht mehr innovativ und zukunftsorientiert denken und schaffen zu können.

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass Czernowitz in den letzten 14 Jahren den alten Ruhm einer wichtigen Handels- und Geschäftsstadt wiedergewonnen hat. Neben vielen großen, mittleren und kleineren Märkten, die den von Franzos geprägten Begriff "Halbasien" wieder aufleben lassen, prosperieren in der Stadt viele noble Geschäfte und Salons. Man sehnt sich nicht mehr nach der alten Zeit, als in Czernowitz die Mode aus Paris zu bekommen war, es ist wieder die Realität von heute, mit der die Czernowitzer Schritt halten. Voller Zuversicht möchte ich sagen, dass Czernowitz und die Czernowitzer - gleich welche: "unsrige" und "nicht-unsrige", nostalgisch oder optimistisch gesinnte, das Wichtigste leisten: den Weg nach vorne mit dem Eingestehen und Anerkennen der reichen multikulturellen Tradition zu vereinen.

Das Czernowitz von heute gibt Grund zur Hoffnung. Die Stadt ist mit ihrem reichen kulturellen Erbe geradezu ein Geschenk des Schicksals und im touristisch-geschäftlichen Sinne ein Kapital für die Bürger. Es ist aber auch unsere direkte, nicht mit dem Umweg über Kiew verbundene Brücke nach Europa, die wir unbedingt weiter begehen wollen.




Beitrag zur Tagung "Mythos Czernowitz" des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam, 17.09. - 19.09.2004
Dr. Sergij Osatschuk ist Mitarbeiter am Bukowina-Forschungszentrum der Jurij-Fedkowicz-Universität, Czernowitz

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