Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

Inhalt

Buchvorstellung
Othmar Andrée

Czernowitz auf dem Weg zu sich selbst
Franka Kühn über den ersten jüdischen Bürgermeister der Stadt Eduard Reiss

Eigentlich wissen wir nach der Lektüre Roy Wiehns neuem Band über den ersten jüdischen Bürgermeister von Czernowitz, Dr. Eduard Reiss, noch immer nicht, wer die private und politische Person Reiss wirklich war und welche Verdienste ihr um die Stadt zukommen. Zwar hat es sich Franka Kühn als Autorin nicht leicht gemacht. Sie hat sich gewissenhaft der einschlägigen Literatur angenommen, Archive gesichtet und die zeitgenössischen Publikationen durchgesehen. Dennoch erscheint das Ergebnis bescheiden. Was aber können wir von der biografischen wie durch Quellen belegten administrativen Hinterlassenschaft eines Amtsträgers vom Rang und von der Persönlichkeit des ersten Bürgermeisters dieser östlichsten Hauptstadt der Monarchie überhaupt erwarten? Insbesondere, wenn es sich um eine so kurz bemessene Amtszeit handelt?



Unbestreitbar, dass wir über den einen oder anderen k.k. Bürgermeister mehr wissen. Etwa über Karel Baxa, Prager Bürgermeister ab 1917, der als jungtschechischer Politiker im Prozess um Leopold Hilsner 1899 eine mehr als unrühmliche Rolle gespielt hat. Oder über Karl Lueger, Bürgermeister in Wien bis 1910, äußerst tüchtig, aber politisch widersprüchlich, Anhänger der „Schönerianer“; beide Bürgermeister Figuren, die auf dem politischen Schachbrett der Jahrhundertwende in der Lokalpolitik und darüber hinaus eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben.



Vielleicht sollte man, was Czernowitz angeht, seine Erwartungen zurückschrauben. Niemand konnte auch in dieser doch eher unbedeutenden Stadt etwas bewegen oder in Gang setzen, wenn ihm für die Leitung der Amtsgeschäfte gerade einmal zwei Jahre blieben. Lieber sollte man sein Augenmerk auf die Tatsache lenken, dass Reiss als Jude zum Bürgermeister gewählt wurde und als solcher fungierte, und das kraft seiner Verdienste, seiner Integrität und seines verbindlichen Wesens. Das hat die Autorin getan und damit einen ersten Schritt gewagt.



Franka Kühn konzentriert sich darauf, Reiss in den Geist und in die Emblematik des deutsch-jüdischen Bürgertums dieser Stadt einzubinden, die hier mit ihrer aus sich selbst heraus geleisteten Tradition relativer Rechtssicherheit, moderater Liberalität und Modernität noch einmal beglaubigt wird. Bei den Bürgermeisterwahlen 1905 war die deutsche Fraktion im Gemeinderat trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit bereit, „im Sinne des friedlichen, gedeihlichen Zusammenlebens“ auf die Wahl ihres eigenen Kandidaten zu verzichten. Immerhin wurde „die Frage, ob der Posten des Bürgermeisters einem Deutschen oder einem Juden zustehe und ob Juden sich überhaupt für öffentliche Ämter innerhalb der Politik oder Verwaltung zur Verfügung stellen sollten, unter anderem in der Presse heftig debattiert“.



Eigentlich muss es der Stadt selber auf den Nägeln brennen, ihre Geschichte redlich aufzuarbeiten. Sie sollte sie vorbehaltlos annehmen und dazu der Forschung alle nur erdenkliche Unterstützung anbieten. Nur so kann sie ihre Geschichte begreifen und zu einem gefestigten Selbstbewusstsein finden. Jedenfalls ist sie nicht gut beraten, die Hände in den Schoß zu legen. Aus Furcht vor heißen Eisen, die sie bei Licht besehen gar nicht selbst anfassen muss. Weil sie dafür nicht verantwortlich zeichnet.




















Franka Kühn. Dr. Eduard Reiss. Der erste jüdische Bürgermeister von Czernowitz.

1905 – 1907. Mit einem Vorwort von Peter Rychlo. Herausgegeben von

Erhard Roy Wiehn. Zahlreiche Abbildungen. Hartung-Gorre Verlag Konstanz.

Taschenbuch 82 Seiten. ISBN: 3-89649-891-6. Preis: 13,80 €
Gelber Balken