Czernowitz Bukowina - Wo Menschen und Bücher lebten

 

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Da gab es in der Bukowina unter vielen legendären Zeitschriften und Periodika die „Bukowiner Rundschau“, die in vehementer Form gegen die Gründung der Hasmonäa, einer zionistischen Czernowitzer Studentenverbindung, auftrat und eine Schwächung der deutsch-nationalen Front befürchtete. „Unser Platz ist an der Seite der Deutschen – in diesem von vielen Nationen bewohnten Lande ...“.(13) Dann existierte in der Bukowina die „Selbstwehr“ des Benno Straucher und die zionistisch ausgerichtete „Ostjüdische Zeitung“ Mayer Ebners, Blätter, die nicht selten im Mittelpunkt engagierter journalistischer Fechtereien mit den habsburgischen und später rumänischen Behörden standen. Ihre opponierenden Partner rekrutierten sich aber auch nicht selten aus den eigenen Reihen. Über Jahrzehnte bildeten das „Czernowitzer Tagblatt“, die „Czernowitzer Allgemeine Zeitung“ und das „Czernowitzer Morgenblatt“ die Standardlektüre des jüdisch-liberalen, bürgerlichen und eben deutschsprachigen Czernowitz.

„In den Städten und im Kampf gegen die Assimilation und in der Durchsetzung der national-jüdischen Grundsätze musste man sich in Galizien der polnischen und in der Bukowina der deutschen Sprache bedienen.“(14) Das Deutsche, dies hier angemerkt zur Erläuterung des sprachlichen Tableaus, auf dem die politischen Bühne eröffnet war, bildete das Verständigungsinstrument für den um die Jahrhundertwende erwachenden und dann in den Folgejahrzehnten stark anwachsenden Zionismus. Erinnert sei an den ersten Zionistenkongress 1897 in Basel, zu dem die Bukowiner Juden mit den Delegierten Isak Schmierer, Mayer-Ebner und Leo Picker ihren Beitrag leisteten, oder an Theodor Herzls „Judenstaat“ und Leo Pinskers „Autoemancipation“. Über das Deutsche fand die Judenschaft Europas wie eben auch die der Bukowina wie ganz selbstverständlich Zugang und Anschluss an das Ringen der Juden um die Formulierung und Gestaltung ihrer gesellschaftlichen, schließlich staatlichen Zukunft.

„Das Deutsche“, so David Sha’rsquo;ari in seiner neuesten Arbeit über das jüdische Czernowitz, „gewann ... in allen Bereichen des jüdischen öffentlichen Lebens an Boden. Seit 1857 begann Oberrabbiner Elieser Igel seine Predigten in der Großen Synagoge auf deutsch zu halten. ... Auch unter den Rumänen behielten die Juden von Cernauti ihre Verbundenheit mit der deutschen Sprache und Kultur bei.“(15)

Die Ursachen für diese Entwicklung liegen auf der Hand. Sie gründen sich im Wesentlichen in der ethnischen Divergenz, für die die Bukowina exemplarisch stand. Zum einen gab es nirgend sonst in Europa noch einmal und in dieser Ausprägung das Phänomen eines friedlichen, weitgehend spannungsfreien Auskommens konkurrierender Ethnien und Sprachgruppen, die sich alle in relativer Minderheit untereinander befanden. Zum andern konnte sich keine von ihnen als Titularnation gerieren und eine absolute Mehrheit zu den anderen Teilvolumina der Landesbevölkerung erringen. Aus diesem Sachverhalt resultierte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine eher indifferente kulturpolitische Balance. Sie ließ ein Kräftevakuum entstehen, aus dem heraus die Reichshauptstadt, das ferne Wien, eine politische Option formte, die sowohl die eigene Administration als auch die Bukowiner Landesverwaltung zu nutzen und zu füllen verstand. Was hier sprachlich auf dem Wege behördlicher wie legislativer Direktiven aus dem Machzentrum des Reichs und landes- und verfassungsrechtlicher Lenkung der Provinz selber seinen Eingang gefunden hat, das Deutsche nämlich, schlug sich auf Grund provinzweiten Gebrauchs am Ende in kulturellem Vorrang nieder.

In der Zeit nach 1918 sank das Deutsche für die überwiegende Mehrheit der Bukowiner Bevölkerung rasch zur Bedeutungslosigkeit herab. Allerdings nicht für die Deutschen und nicht für die Juden. Auf welche Sprache hätten sich die beiden Bevölkerungsgruppen jetzt verständigen sollen? Für die Juden bildete das längst adaptierte Deutsch, das sich aufs Innigste mit dem Vorgang ihrer gesellschaftlichen Emanzipation und kulturellen Assimilation verband, die private geistige Rückzugssphäre aus dem nicht selten strapaziösen Alltag, und es stellte die intellektuelle Tiefe für einen strategischen Raum zur Verfügung, aus dem heraus sie mit erstaunlicher Insistenz ihre Auffassung und ihr bürgerliches Selbstverständnis in praktischer und zivilrechtlicher Hinsicht publizistisch-öffentlich vortrugen.

Mit Hilfe der deutschen Sprache wurde zumindest der Versuch zur geistigen Behauptung gegen die allgemeine Repression, die allumfassende Rumänisierung und anwachsende Beschneidung der sozialen und rechtlichen Erwerbungen aus der Kaiserzeit und gegen die längst eingesetzte Perforation des sozialen Standards unternommen. Der zivilrechtliche und rechtsstaatliche Abstieg, den die Juden des Landes in der Zwischenkriegzeit hinzunehmen hatten, lieferte dazu die Munition. Mit der deutschen Sprache bewahrte man über den ernüchternden und zermürbenden Alltag hinweg wenigstens in der Sphäre des Privaten die Fiktion einer Prolongation der Vorkriegsverhältnisse und schuf sich auch auf halbstaatlicher Ebene, in Vereinen und Verbänden etwa, Zustände und Rechtspositionen, wie sie vor dem Krieg Allgemeingut waren.

Und die Juden hielten auch noch zu der von ihnen adaptierten Sprache, als sie – die wenigen - aus den Lagern Transnistriens zurückgekehrt waren und vom ganzen Umfang der Greuel an ihrem Volk und ihren Landsleuten erfuhren; als sie nach den Jahren der Deportation ihre Heimatstadt betraten; sich anschickten, endgültig und für immer ihren Abschied zu nehmen.

„Erreichbar, nah und unverloren“ - so Paul Celan in seiner Bremer Rede von 1958 in durchaus nicht unberechtigtem kollektiven Anspruch – „blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache. Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem. Aber sie musste nun hindurchgehen durch ihre eigenen Antwortlosigkeiten, hindurchgehen durch furchtbares Verstummen, hindurchgehen durch die tausend Finsternisse totbringender Rede. Sie ging hindurch und gab keine Worte her für das, was geschah; aber sie ging durch dieses Geschehen. Ging hindurch und durfte wieder zutage treten, ‚sbquo;angereichert’rsquo; von all dem.“(16)

Für das Kennenlernen und die Beschäftigung mit dieser Stadt bringen wir also nicht die schlechtesten Voraussetzungen mit. Unter diesem Aspekt gewinnt aber auch eine in der Publizistik zunehmend sich stellende Frage Bedeutung, mit der der Leser historischer und aktueller Publikationen zur Landeskunde der Bukowina häufig konfrontiert wird: wie wichtig, wie unerlässlich es ist, ukrainische, polnische, rumänische und jüdische Personen- und Ortsnamen - wissenschaftlich und international verbindlich transkribiert – in der Literatur zu etablieren, die Bukowiner Kulturgeschichte sprachwissenschaftlich auf ein breites und verlässliches Fundament zu stellen und der allgemeinen, eher zunehmenden Konfusion in dieser Frage Richtung und Grenzen aufzuzeigen.

Die in der Fachliteratur oft unbekümmert gehandhabte Ablösung aus der germanisierenden und polonisierenden Umarmung der Toponymik sowie der politischen Begriffe, wie sie unter Habsburg die Schreibweisen Bukowiner Behörden, den amtlichen Schriftverkehr und einen nicht unerheblichen Teil des kulturellen Lebens und der Literatur über anderthalb Jahrhunderte dominierten, stellt die gesamte Betrachtung des Landes in ein schiefes Licht. Wenn dieser Prozess dazu führt, die tradierte Schreibweise der Namen ganz und gar aus dem kulturellen Gedächtnis zu streichen oder um die schier unerschöpfliche Zahl immer neuer, eigener Kreationen zu erweitern, klittert sie Geschichte. Das anglisierte „Vizhnits“ etwa gibt es nicht und diese Schreibweise ist nichts als eine Erfindung aus der Not orthografischer und phonetischer Verlegenheit, nicht anders das immer wieder anzutreffende „Chernovits“ im amerikanischen oder „Tschernowitz“ im deutschen Sprachraum. Dabei wäre zu empfehlen, für die Polonisierungen das ältere historische Recht zu reklamieren, war das Polnische doch „eine der ehemaligen Kanzleisprachen im moldauischen Fürstentum“(17). Im Zweifelsfalle – aber wirklich nur da - lieber mehrsprachig, aber natürlich unter Ausschluss von Neuschöpfungen und orthografischen Verirrungen, lieber im Rahmen der einstigen Landessprachen, als beharrlich auf den eigenen Sprachraum fixiert. Dies sollte für alle Nationen gelten, die sich einmal im Czernowitzer Sprachkarussell gedreht haben.

Was ist übrig geblieben vom Deutsch in dieser Stadt? Von dem, was wir an Ort und Stelle lesen und greifen können? Natürlich ein Teil des Interieurs, der Stadtmöbel: Hunderte Kanaldeckel mit der Aufschrift „Stadtmagistrat Czernowitz“, oder „Pittel & Brausewetter, Wien“, dann „Wasserwerk Czernowitz, Armaturen & Maschinenfabrication Actiengesellschaft, vormals J.A. Hilpert Wien“, in Hauseingängen wunderschöne Fliesenarbeiten mit dem Hinweis - in schönstem Desdemona – „Wandverkleidung Leon Schrenzel Czernowitz“ bis hinunter zu elektrischen Verteilerkästen von „Siemens & Halske“. Noch immer führt eines der „Durchhäuser zu den Pawlatschen“ in der Rathausstraße den Schriftzug „Kisslinger Hof“.
 


(13) Hugo Gold. Geschichte der Juden in der Bukowina. Hier: Leon Arie Schmelzer. Geschichte des Zionismus in der Bukowina. Tel Aviv 1962
(14) ebenda
(15) David Sha’rsquo;ari. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz. In: Harald Heppner. Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Köln 2000
(16) Paul Celan. Der Meridian und andere Prosa. Ansprache anlässlich der Entgegennahme des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen 1958. Frankfurt am Main 1983
(17) Kazimierz Feleszko. Die Polen in Czernowitz. In: Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Hrsg. Harald Heppner. Köln 2000

 


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